Eigene Grenzen kennen: Wie schaffe ich das, mich beim Sport nicht zu übernehmen?

Es fühlte sich so gut an! Ich war so froh, dass ich mich wieder bewegen kann. Ich fühlte mich nach langer Zeit so voller Energie und jetzt – liege ich auf meiner Couch und habe nicht mal die Kraft, meine Augenlider zu bewegen. Alles fühlt sich so bleiern an, mein Gehirn wie in Watte gepackt. Selbst die Gedanken bewegen sich langsam wie im Honig und einen einzigen Gedanken fertig zu denken fehlt mir die Kraft.

So ging es mir, als ich nach 6 Monaten Therapie aus dem Gröbsten raus war. Mein Körper hat auf die Therapie gut angesprochen. Beflügelt habe ich beschlossen, dass ich jetzt wieder körperlich aktiver werde.

Der erste ausgedehnte Spaziergang im Wald endete katastrophal. Erst war alles gut und ich ging flott, dann hatte ich einen Energieschub und bin immer weiter gegangen, immer weiter. „Komm! Ein Stückchen geht noch! Du willst ja wieder fit werden, da musst du schon was leisten!“ Irgendwann ging es doch Richtung nach Hause. Auf dem ¾ Weg merkte ich, dass mir die Kräfte ausgehen. Als ich zu Hause angekommen war, reichte mir die Kraft ein Glas Wasser zu trinken, danach fiel ich auf die Couch wie ein Sack Kartoffeln.

OK, ein Mal sich zu übernehmen, kann ja nicht so schlimm sein, oder?

Jain. Wenn wir uns körperlich und seelisch wieder aufbauen wollen, geht es darum konsequent zu bleiben. Der Körper muss tatsächlich gefordert werden, damit die Muskelkraft und Ausdauer zunehmen. Es ist sinnvoll bis an die Belastbarkeitsgrenze zu gehen. Noch wichtiger ist es diese Grenze nicht zu überschreiten!

Warum ist es wichtig, die eigenen Grenzen nicht zu überschreiten?

Das Problem ist hier das Gehirn. Wenn wir mit einer Aktivität eine schlechte Erfahrung gemacht haben, wie ich mit meinem Spaziergang, speichert das Gehirn diese (und ähnliche) Aktivität als „gefährlich“, „macht keinen Spass“, „tut mir nicht gut“ ab. Das Problem war hier nicht die Aktivität selbst, sondern die falsch gewählte Intensität. Nächstes Mal fällt es uns schwer, uns aufzuraffen und zu motivieren. Wir denken oft, das liegt am inneren Schweinehund. Dabei ist dieses geheimnisvolle Tier gar nicht im Spiel, sondern unsere Ungeduld und zu hohe Erwartungen an uns selbst.

Es ist sinnvoll diese schlechten Erfahrungen zu überschreiben. Ein achtsamer, weniger intensiver Spaziergang würde mir guttun und dem Gehirn signalisieren: „Spaziergänge sind OK“.  Kleine Schritte bringen dich weiter als große eilige Sätze!

Dann speichert das Gehirn diese Aktivität als sinnvoll, nährend, aufbauend. Es schafft dann Bedingungen dafür, um noch mehr davon zu bekommen. Du brauchst keine zusätzliche Motivation mehr, du bist im positiven Kreislauf.

Doch wie erkenne ich meine Grenze?

Um unsere Grenzen zu kennen müssen wir uns selbst sehr gut kennen.

Hier helfen Achtsamkeitsübungen, Meditation und Yoga. Eine Yoga-Praxis ist wunderbar, weil beim Yoga bewegen wir uns achtsam und lernen unseren Körper und Geist besser kennen. Das ist manchmal wortwörtlich zu verstehen, denn während und nach einer Krebstherapie fühlt sich der Körper fremd an. Vielleicht hast du ein Stück Vertrauen in deinen Körper verloren? Vielleicht fühlst du dich von deinem Körper verraten? Vielleicht ist Fatigue dein ständiger Begleiter?

Da ist eine Yoga-Praxis wunderbar:

  • In einer Yoga-Praxis bewegst du dich bewusst und achtsam. Hier ist es praktisch unmöglich, dich zu übernehmen, wenn du dich deinem eigenen Körper öffnest.
  • Du kannst die Intensität jederzeit selber anpassen und einige Bewegungen einfach aussetzen. In einer gut angeleiteten Yogastunde bekommst du Variationen angeboten, wie du die jeweilige Position für dich abwandeln kannst.
  • Du achtest auf den Bewegungsablauf, den Atemfluss und deine Empfindungen und gelangst in einen meditativen Zustand, in dem du mit deinem Körper sehr verbunden bist. So lernst du deinen Körper (neu) kennen und baust Vertrauen in ihn wieder. Du tastest dich an deine Grenzen heran und nimmst sie deutlich wahr. Dafür hast du gute Bedingungen geschaffen.
  • Du schulst deine Körperwahrnehmung und lernst, die Signale des Körpers wahr- und anzunehmen.
  • Das scharfe Gewahrsein, das auf der Yogamatte entsteht, kannst du mit in den Alltag nehmen. So spürst du deine Grenzen auch außerhalb der Yogamatte und kannst rechtzeitig eingreifen.
  • Selbstverständlich ist eine Asana-Praxis eine physische Praxis. Du baust deine Muskelkraft und Ausdauer auf. Mit all den Benefits, die ich oben genannt habe.

Yoga schult deine Achtsamkeit und Körperwahrnehmung, trainiert den Körper und den Geist. Das alles gleichzeitig

Praktische Tipps für dein Bewegungsprogramm:

  • Fange mit kleinen Einheiten an: lieber am Anfang zu wenig machen als sich zu viel zumuten. Die Intensität kannst du allmählich steigern.
  • Integriere unbedingt Yoga oder Achtsamkeitsübungen in dein Programm. Yoga kannst du selbst bei starkem Fatigue-Syndrom machen.
  • Sei liebevoll und geduldig zu dir selbst, wie dein:e beste:r Freund:in zu dir wäre. Sei deine eigene beste Freundin!

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