Die verborgene Kraft: Muskelaufbau nach Chemotherapie

Die verchromten Teile meines Krankenbettes reflektierten die freudigen Strahlen der milden Herbstsonne. Mir wurde warm und ich musste immer wieder nach Luft schnappen. Zehn Tage lag ich im Bett und das höchste der Gefühle war der Gang in den Flur, wo wir mit meinem Mann die mitgebrachten Croissants gegessen haben. 

Jetzt wurde es Zeit! Es war Samstag und ich habe mich an einen Spaziergang rund ums Krankenhaus gewagt. Die Fahrstuhltüren öffnen sich in eine völlig fremd gewordene Welt. Freudig schritt ich nach außen. Frische Luft! Herrlich… Vorsicht! Eine Stufe. Ich habe sie nicht übersehen, aber mein Körper hat nach nur zehn Tagen Bettruhe dermaßen abgebaut, dass ich den Schritt nach unten nicht geschafft habe. Es ging so schnell, da lag ich auf dem Steinboden. Der erste Spaziergang war ungefähr zehn Meter lang. Ich konnte die Sonne noch auf der Bank genießen, tief im Inneren erschreckt von meiner eigenen Hilfslosigkeit.

Use it or lose it - Das gilt vor allem für Muskeln!

Der Körper ist sehr schlau. Er hat ein eingebautes Optimierungsprogramm, das alles abbaut, was nicht gebraucht wird. Das spart wertvolle Ressourcen. Nach zehn Tagen Bettruhe verlieren wir bis zu 30% der gesamten Muskelmasse. Es ist verdammt viel!

Was auch abgebaut wird sind die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn: Körperkoordination, Muskelsteuerung, all das muss neu gelernt werden. 

Während der Krebstherapie und nach den OPs bewegen wir uns viel weniger als sonst. Alles was wir über Wochen nicht benutzen, wird langsam abgebaut. Umso wichtiger ist es, sich schon während der Therapie angemessen zu bewegen. Da kommt Yoga zur Hilfe, denn im Yoga können wir die Intensität sehr einfach anpassen. Im Yoga kultivieren wir den achtsamen und liebevollen Umgang mit uns selbst, sodass Überforderung und Verletzungen vermieden werden. 

So elementar ist unsere Muskulatur für unsere Lebensqualität 

Der Muskelaufbau nach der Krebstherapie ist extrem wichtig! Muskeln sind nicht nur dafür da, um den Körper zu bewegen. Hier sind die wichtigsten Funktionen der Muskulatur, die den körperlichen Aufbau nach der Chemotherapie überhaupt möglich machen: 

  • Muskeln sind ein wichtiges Stoffwechselorgan. Sie reduzieren das Körperfett und verbessern den Energiestoffwechsel.
  • Muskeln helfen gegen Fatigue. 
  • Muskeln speichern wichtige Mineralstoffe.
  • Nur mit muskulärer Aktivität können wir Osteoporose vorbeugen, bzw. die Knochendichte verbessern. 
  • Muskeln lindern Schmerzen. 
  • Muskeltraining wirkt nachgewiesenermaßen positiv auf die Stimmungslage, vor allem bei depressiver Stimmung und Abgeschlagenheit. 
  • Muskeln verbessern die kardiovaskuläre Leistung (Herzkreislaufsystem). 
  • Offensichtlich sind Muskeln wichtig für Beweglichkeit und körperliche Stabilität. Die sekundären Folgen sind Selbstvertrauen, Zuversicht und Selbstwirksamkeit. Und das wiederum ist aus meiner Sicht die Grundlage für erfolgreiche Genesung. 

All in all: Ohne Muskeln ist es schwierig, gesund zu werden.

Meine 5 besten Tipps für Muskelaufbau nach der Krebstherapie

Die gute Nachricht ist – wir brauchen keine Muskelpakete à la Arnold Schwarzenegger. 

Regelmäßiges adäquates (an deinen Zustand und Bedürfnisse angepasstes) Muskeltraining reicht! Ziel ist, gesund zu werden und sich wohl zu fühlen. Da ist kein Platz für Überforderung und „höher, schneller, weiter“. Genau den Ansatz hat Yoga. Gesunder Körper – gesunder Geist. Die Vorteile von Yoga gegenüber anderen Bewegungskonzepten findest in diesem Artikel.

  1. Lieber öfter und dafür weniger trainieren. Trainiere besser jeden Tag 15 Minuten , als einmal in der Woche eine Stunde.

  2. Fange mit einfachen Bewegungen an, steigere die Intensität allmählich. 

  3. Integriere Übungen in deinen Alltag: Verzichte regelmäßig auf den Aufzug und benutze Treppen. Gehe in die Hocke beim Zähneputzen oder wippe von den Fersen in den Vorderfuß in der Warteschlange. Sei kreativ und erfinde deine eigenen Bewegungen in alltäglichen Situationen. Das Training soll dir Spaß machen und leicht umsetzbar sein!

4. Mache Yoga!

In einer Praxis von Yoga bei Krebs bewegen wir uns gezielt in verschiedene Körperpositionen, um den Alltag zu erleichtern. Wir beanspruchen alle Muskelgruppen in verschiedenen Arten der Muskelaktivität (konzentrisch, exzentrisch und isometrisch). Das ermöglicht neben der Stärkung der Muskulatur mehr Stabilität, Beweglichkeit und baut Vertrauen in den Körper auf.  Hier findest du einige Yoga-Videos.

5. Fange so früh wie möglich an. Auch während der Therapie ist eine moderate Bewegung möglich. Wir haben auch Yoga-Videos, die du während der Therapie machen kannst. 

Vermeide unbedingt diese 3 Fehler

  1. Gehe nicht bis an deine Grenzen und schon gar nicht darüber hinaus! Sei liebevoll und geduldig zu dir selbst. Das braucht dein Körper jetzt! Gehe nicht weiter als 90% deiner Belastbarkeit in dem Moment. Bedenke: deine 90% von heute werden deine 80% morgen. 
    Hier kannst du nachlesen, wie du deine Grenzen erkennst.
  2. Gleichzeitig schone dich nicht zu sehr. Zu viel ist zu viel und zu wenig ist eben zu wenig. 
  3. Überanstrenge Dich nicht: Muskeln brauchen Anspannung und Entspannung. Sorge für ausreichend Pausen und Entspannung.